Herbstlaub und Alter Weißer Tee 樹葉的秋色與老白茶

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Die Vorlieben für unterschiedliche Tees ändern sich unaufhörlich im Laufe eines Teelebens. In meinem Teeleben nehmen mit Sicherheit die feinen blumigen Aromen, die milde Röstung und die wiederkehrende Süße der Wulongtees einen entscheidenden Platz in meinem Herzen ein. Es gibt so gut wie keinen Anlass oder keine Jahreszeit in der der Duft eines schönen Wulongtees nicht augenblicklich ein Lächeln auf mein Gesicht zaubert und mich die Sorgen und Hektik der Welt vergessen läßt. Doch je weiter mein Teeleben voranschreitet, desto mehr Tees begleiten mich. An kalten Wintertagen zum Beispiel kräftige, bodenständige Schwarztees mit ihrem tiefroten Honiggeschmack, oder an heißen Sommertagen frische Grüntees.

Zu meinen regelmäßigeren Begleitern zählen in letzter Zeit, wie im Artikel zuvor erwähnt, Pu Erh Tee aber auch Alte Weiße Tees. Deshalb schreibe ich dieses Mal ein paar Zeilen über meine neue Leidenschaft: Alter Weißer Tee. Mir ist es wichtig stets den Zusammenhang zwischen Tee und der Natur, dem Einfachen und Schlichten zu finden. Da wir in den mitteleuropäischen Breitengraden kaum die Möglichkeit haben durch Teegärten zu schlendern, kann man sich nur an den Düften und der Schönheit unserer saftigen Wiesen und den Laub- und Nadelwäldern orientieren. Auch wenn der Herbst nicht unbedingt die fröhlichste Jahreszeit ist, so ist sie doch mit Sicherheit eine der schönsten, die unglaubliche Inspiration für den Teegenuss bietet.

Bereits vor über tausend Jahren, zur Zeit der nördlichen Song Dynastie, meinte Song Huizong in seinem Werk “Treatise on Tea” 《大觀茶論》:Weißer Tee ist eine Art für sich, anders als die normalen Tees.「白茶自為一種,與常茶不同」. Auch wenn umstritten ist wie der Tee von damals mit dem Weißen Tee von heute vergleichbar ist, bleibt Weißer Tee in seiner Verarbeitung wohl einer der natürlichsten Teesorten überhaupt. Nach der Ernte werden die Blätter zum Welken ausgelegt und nach einem Wasserverlust von etwa 80% in der Sonne getrocknet. Anders als bei “herkömmlichen” Tees wird weder bewusst eine Oxidation eingeleitet, noch wird sie unterbunden – die Blätter werden einfach getrocknet. Auch wenn während des Trocknens eine minimale Oxidation stattfindet, entstehen die meisten Aromen nur aus dem Teeblatt selbst und nicht aus dem handwerklichen Geschick, das Wulongs, Schwarz- und Grüntees zu Grunde liegt.

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Weißer Tee hat nur bedingt etwas mit der Farbe Weiß zu tun. Die Blätter welken, werden gelb, braun, grün etc. Selbst der Aufguss zeigt sich verhältnismäßig dunkel. Durch die schonende Verarbeitung bleiben jedoch die feinen weißen Härchen an den Knospen erhalten, was dem Tee seinem Namen gibt. Die Gesamtheit der getrockneten Blätter erinnert in ihrer Farbenpracht an Herbstlaub. Je älter und je reifer der Tee wird, desto dunkler wird das “Laub” und sein Aufguss. Oft werden die Tees auch wie Pu Erh in Scheiben gepresst, um eine innere Oxidation, teilweise auch Fermentation, anzuregen. Je weiter der Reifungsprozess fortgeschritten ist, desto mehr entwickelt der Tee Charakter und Wirkung die an traditionelle chinesische Medizin erinnern, was dazu führt, dass der Tee immer wertvoller wird.

Während Junger Weißer Tee sensibel auf Wassertemperatur und Ziehzeit reagiert, kommt Alter Weißer Tee bei hoher Temperatur erst richtig zur Geltung. Er wird teilweise sogar ausgekocht, um das Maximum an Geschmack und Inhaltsstoffen rauszuholen. Da die Zellwände der Blätter beim Rollen nicht aufgebrochen werden, verträgt er längere Ziehzeit. Spannend bleibt aber, dass Weißer Tee stets frisch und süß wirkt, obwohl er etwas Reife mit sich bringt, aber kaum bitter und herb wird. Weißer Tee bleibt schlicht und einfach und besticht durch seine Wirkung und naturnahes Aroma. Laut der TCM wird ihm eine kühlende Wirkung nachgesagt. Jedoch habe ich noch nie einen Tee entdeckt, der eher den kühlen Herbsttagen Europas entspricht, als dieser.

In China gibt es das Sprichwort: Tee ist wie das Leben 「茶如人生」. Yang Feng 陽丰 der aus einer Familie von Teemenschen stammt und mit Weißem Tee aufgewachsen ist, ergänzte dieses Sprichwort wie folgt: Weißer Tee ist noch mehr wie das Leben 「白茶更像人生」. Eigentlich war für heute, einem typischen Herbsttag, Regen angesagt. Doch als sich vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke kämpften, machte ich mich auf einen Spaziergang durch den Grunewald am Wannsee in Berlin. Mich überwältigte eine einzigartige Herbstkulisse, die es in den meisten Teeanbaugebieten der Welt nicht gibt. Unendliche Farben, nasse, frische Herbstluft, die gerade zu nach Tee ruft und ein unbeschreiblicher Geruch nach Laub die mich umgaben.

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Allein die Kulisse bot Inspiration für zahlreiche Teesessions. Der Duft nach frischem, feuchtem Herbstlaub, der in der Luft lag, ließ mich nicht mehr los. Er erinnerte mich an etwas, das nicht weiter weg von tropischen Teegärten hätte sein können, aber auch nicht näher dran. Und so entschloss ich mich, mir zuhause etwas Zeit für Tee zu nehmen. Ein paar Andenken aus dem Grunewald komplementierten mein Teeset. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Tee gefunden habe, oder er mich. Aber ich griff automatisch zu meinem Alten Weißen Teeziegel und brach mit dem Teemesser sorgfältig einige Blätter ab und legte diese in meine vorgewärmte Teeschale (Gaiwan). Noch bevor ich den Tee aufgoss, breitete sich im ganzen Zimmer ein feiner, erdiger, süßer herbstlicher Duft von gereiften Teeblättern aus – es machte klick und der Weiße Tee aus Südchina, der über 10 Jahre in Bambusblättern gereift war, brachte ein Stück herbstliche Natur aus dem Grunewald in meine Teeschale… bei dem ersten Schluck, wurde mir erneut bewusst wie schön und komplex das Einfachste und Schlichteste aus der Natur sein kann. Als würde eins zum andren führen begann es zu regnen. Ein Tropfen nach dem anderen prasselte gegen mein Fenster und es wurde zu einem der magischsten Momente die einem der Herbst bescheren konnte.

一雨雁山茶,天台陽阮家。
暮雲遲客子,秋色見桃花。
壁繡莓苔直,溪香草樹斜。
風簫誰得見,空此駐雲霞。

Zum Abschluss ein Gedicht von Tang Xianzu aus der Ming Zeit, das die Kraft der Natur mit ihren Jahreszeiten abbildet und bei einer Tasse Tee durch herbstliche Pfirsichblüten und das Rauschen des Windes Einfluss auf unsere Erinnerungen und zwischenmenschlichen Beziehungen nimmt!

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