Tee begreifen (I) – Wie wird Tee „richtig“ zubereitet? Tee und seine Zubereitung als Lebenseinstellung und nicht als Methode.

Tee ist eine sehr komplexe Sache, die man schwierig, aber eben auch einfach betrachten kann! Wenn ich Tee mache, werde ich oft sehr genau beobachtet. Es wirkt aufwendig und kompliziert und doch wirkt es souverän und gefasst. Oft hinterlässt der Tee einen bleibenden Eindruck. Müsste ich darüber sprechen, wäre das sicher anders. Beginnt man sich nun über Teesorten, Geschmack, Wassertemperatur, Ziehzeit, Gerätschaften und Bewegungsabläufe Gedanken zu machen, wird es tatsächlich kompliziert. Atmet man jedoch einmal tief durch und freut sich auf eine gute Tasse Tee, wird das ganze schon einfacher.

Es gibt unzählige Faktoren, die Tee tatsächlich beeinflussen. Ziel der asiatischen Teemeister und deren teils preziös durchgeplanten Zeremonien ist es, „die perfekte Tasse Tee“ zuzubereiten. Existenzialistisch und meditativ betrachtet, hat man nur diese eine Chance, diesen einen Augenblick, diese eine Tasse Tee! Ein bekannter Teesomelier von Twinings, der Name bei dem sich die oben genannten Kollegen wohl im Grabe umdrehen würden, versuchte es wissenschaftlicher und meinte: „Es gibt nur eine Frage: kann man den Tee noch besser machen? Doch dann braucht man eine genaue Vorstellung davon was „besser” ist!”.

Bevor man Tee lernt, oder besser gesagt „versteht“, sollte man leibhaftig lernen was „gut“, „schön“, „wohltuend“ ist. Und natürlich auch was „Spaß macht“ – was nicht bedeutet, nebenbei keinen Tee zu trinken. Der technische und mechanische Ablauf und dessen Utensilien tragen einen wichtigen Teil zu einer guten Tasse Tee bei. Doch was hilft uns das, wenn wir selbst keinen Maßstab, kein Auge dafür haben und nicht erkennen oder wissen können was „besser” ist? Ich denke, es geht einfach darum, sich gewissen Abläufen und deren Ergebnissen bewusster zu werden. Ebenfalls hilft es, ein klares Bild davon zu haben, was einem schmeckt, was einem gefällt und vor allem was einem guttut.

Schönheit oder Ästhetik ist etwas, das sich durch alle Bereiche des Tees zieht. Darum lohnt es sich, dies aus dem Alltag zu lernen bzw. es zu integrieren. Eine Tasse Tee schmeckt / wirkt besser wenn der Tisch aufgeräumt und die Küche sauber ist, daneben eine schöne Blume steht, im Hintergrund ein besinnliches Lied läuft, ein ausgeglichenes Bild an der Wand hängt und man den Tee aus einer handgefertigten Tasse trinkt. Genau so wie ein Bier mit Freunden aus einem schönen Glas mit Schaumkrone besser schmeckt als alleine aus einem Pappbecher ohne Kohlensäure. Das heißt, es bewährt sich, das „Teetrinken“ vor dem „Teezubereiten“ zu lernen.

Da Tee aus der Natur kommt, empfiehlt es sich ebenfalls auch dorthin einen aufmerksamen Blick zu werfen. Guter Tee orientiert sich nicht nur in seiner Verarbeitung und Präsentation, sondern auch in seinen geschmacklichen und sensorischen Eigenschaften an der Natur und natürlichen Prozessen. Was bedeutet eigentlich „bitter“, „herb“, „fruchtig“, „aromatisch“, „süß“, oder etwas ausgefallener „adstringierend“? Welche Bedeutung hat „hartes“ und „weiches“ Wasser für den Tee und seinen Genuss? Wofür steht „gehaltvoll“? Für all das bietet die Natur eine Fülle von unverfälschten Beispielen. Ich kann mir zum Beispiel keinen Tee mehr vorstellen, der nicht bitter ist. Es gibt jedoch unendlich viele Nuancen und Variationen von Bitterkeit. Manche sind elegant, andere nur herb.

Darüberhinaus ist Tee etwas sehr persönliches, individuelles und subjektives. Wenn ich alleine Tee trinke, bereite ich ihn mit Sicherheit anders zu, als für andere. Hat man seinen subjektiven Tee und das entsprechende Umfeld, die Ästhetik und Utensilien gefunden, was sich ohnehin unabdinglich ändert, ist man bereit sich mit Teesorten, Geschmack, Wassertemperatur, Ziehzeit, Gerätschaften und „Bewegungsabläufen“ auseinander zu setzen. Während im Westen eines zum anderen führt, findet im Osten ein unabdinglicher Austausch im Kreislauf des Yin und Yangs statt. Was nichts anderes bedeutet als dass man jedes mal wieder von Null beginnt, auch wenn die Ausgangssituation auf der man aufbaut eine andere ist.

Guter Tee schmeckt und riecht nicht nur besonders, sondern sieht auch wunderbar aus. Selbst das Umgießen des Wassers kann sich wohlklingend anhören. Aber vor allem wirkt er auch. Er kann „beruhigen“, aber auch „anregen“ und „inspirieren“, oder schlicht weg nur Magenkrämpfe verursachen. Wie man so schön sagt, Tee ist ein Erlebnis für alle Sinne und wirkt auf Körper, Geist und Seele. Um dies wahrzunehmen, braucht man viel Einfühlungsvermögen und Beobachtungsgabe, doch es lohnt sich darauf zu achten. So bietet es sich an, bei der nächsten Mahlzeit darüber nachzudenken, ob man es einfach tut, oder es „bewusst einfach macht“ und darauf achtet, was dabei passiert!

Wie in einem Spiel sollte man sich nicht zu sehr einschränken lassen und mit den verschiedenen Möglichkeiten und Variationen experimentieren. Es stehen genug „Werkzeuge“ zur Verfügung. Je nach Zugang, kann man über das Decken des Teetisches und die Auswahl der Gerätschaften das Ästhetisch-Künstlerische ansprechen. Über Thermometer, Waage und Stoppuhr das Technische. Über Musik, Weihrauch und Meditation das Spirituell-Mystische. Über die perfekten Bewegungsabläufe und verwendeten Materialien das Kontemplative und die Haptik und vieles mehr. So entstehen spannende und wirkungsvolle Kombinationen und Interaktionen, die alle Einfluss auf den Teegenuss und dessen Geschmack, Geruch, Erscheinung und die dem Tee innewohnende „Energie“, 茶氣, cháqì, haben.

Eigentlich geht es darum, einfach mal abzuschalten. Sich bewusst auf sich selbst und sein Umfeld zu konzentrieren und damit spielerisch zu experimentieren. Tee bietet hierfür eine sehr schöne Gelegenheit und schafft Verbindungen zwischen dem Umfeld und sich selbst. Als sich ständig entwickelnder Prozess, wirkt er sowohl von innen nach außen, als auch von außen nach innen. Ebenso fungiert er als Medium, welches den unterschiedlichsten Gefühlen und Disziplinen Ausdruck verleiht. Das Schöne liegt im Einfachen und Natürlichen. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto größer wird der Freiraum in dem man sich bewegt und was man für sich selbst und andere herausholen kann – auch wenn’s „nur“ ein Teebeutel zwischendurch im Büro oder der Schule ist. Es kommt auf die Einstellung an – für jeden ist etwas dabei!

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Kommentar: dieses Thema beschäftigt mich schon sehr lange. Viele Menschen fragen mich wie man denn „Tee lernen“ kann. Ein gesamtes Statement dazu abzugeben würde wohl den Umfang eines Buches sprengen. Es gibt einfach zu viele Bereiche in denen sich Tee bewegt. Das Thema wird jedoch noch in weiteren Beiträgen fortgesetzt. Es geht mir in erster Linie darum, darzustellen, dass es mehr als eine rein „technische“ Ebene gibt, die von vielen Teemenschen allzu oft forciert wird. Tee steht in einer Wechselwirkung bzw. einem Dialog mit seinem Umfeld. Er balanciert aus und nähert an. Nach längerem Abwiegen relevanter Inhalte, waren für diesen Artikel 1,2l Assam Dibrugarh Jaipur SFTGFOP, 1,2l Songyangyinhou Weißer Tee 松陽銀猴 und 0,75l Soave notwendig 😉

Ich würde mich sehr freuen, von euren Erfahrung auf dem „Weg des Tees“ zu hören und wie ihr „Tee lernt“.

Das Bild zeigt den einen schönen Augenblick auf den es ankommt, wenn man ihn sehen will. In diesem Fall eine echte Teepflanze mit ihren ersten Frühlingstrieben über den Dächern Berlins, die dem Sonnenuntergang entgegen sieht.

DSCN6519_Fotor

One thought on “Tee begreifen (I) – Wie wird Tee „richtig“ zubereitet? Tee und seine Zubereitung als Lebenseinstellung und nicht als Methode.

  1. Morten says:

    Sehr schön Alex, sehr, sehr schön geschrieben. Wie mit so vielen Dingen, vor allem wahrhaftigen Dingen, hat man immer das Gefühl mit Worten nicht die Authenzität verleihen zu können, die die Erfahrung selbst in einem ausgelöst hat. Es wird auch nie zu 100% möglich sein, aber wie du schreibst, da denke ich viel näher kann man mit den Worten der Sache an sich nicht näher kommen.

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